03/20/2020

Gedanken zu Angst und Kulturpessimismus

Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren.
Daß es „so weiter“ geht, ist die Katastrophe” 

Walter Benjamins abstrakter Vorstellung der permanenten Katastrophe liegt die Vorstellung zugrunde, dass Krieg und Unterdrückung eben nicht die extremen Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen sind, sondern ihr Normal-zustand, ihr Normalvollzug. Die bürgerliche Gesellschaft bringt die Voraussetzung mit, die ihrer Überwindung zu dem, was als Barbarei bezeichnet wird, dienen. Was Walter Benjamin vor allem in seinem letzten Werk Über den Begriff der Geschichte, kurz vor seinem Suizid auf der Flucht vor den Nazis, 1940 darlegt, ist ebenfalls Bestandteil des Werks Dialektik der Aufklärung von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno von 1944. Sie eint die Zivilisationskritik, dass es eben keinen kausalen Fortschritt des Menschen in der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft gibt, sondern rein additive Wissensvermehrung, Entmythologisierung von Kunst sowie die Ästhetisierung von Massenkultur und dem nicht vorhanden sein eines gesellschaftlichen Korrektiv  gegenüber der institutionalisierten Aufklärung selbst, welche den Menschen dem eigentlichen Ziel der Aufklärung, der Befreiung aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, nicht näher bringen, sondern neue, barbarische Formen von Gewalt und Unterdrückung hervorbringen.[/size]Wir hegen keinen Zweifel daran,[…] daß die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken unabtrennbar ist. Jedoch glauben wir, genauso deutlich erkannt zu haben, daß der Begriff eben dieses Denkens, nicht weniger als die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es verflochten ist, schon den Keim zu jenem Rückschritt enthalten, der heute überall sich ereignet. Nimmt Aufklärung die Reflexion auf dieses rückläufige Moment nicht in sich auf, so besiegelt sie ihr eigenes Schicksal.” (2)

Fritz Stern und der Kulturpessimismus

[justify]Im Jahre 1953 erschien das Buch Kulturpessimismus als politische Gefahr des aus Deutschland in die USA geflohenen Historikers Fritz Stern. Stern untersucht in diesem Buch, einer Pathologie der Kulturkritik, kulturpessimistische Werke deutscher Literatur in Zeiten des deutschen Kaiserreiches und der folgenden Weimarer Republik. Er bezeichnet den Kulturpessimismus als “Rebellion […] gegen die leere einer materialistisch ausgerichteten Zeit, gegen die Heuchelei des bürgerlichen Lebens und die Entfremdung von der Natur, gegen die geistig-seelische Verarmung inmitten des Überfusses, gegen das gesamte kapitalistisch-bügerliche System […]”(3)&filetype=file”>(3) So sieht er nicht nur Parallelen dieses negativen Denkens zur antimodernistisch-vernichtenden, völkisch-antisemitischem Ideologie der deutschen Nationalsozialisten, sondern bereits Grundvoraussetzung zur Entstehung dieser: “Allgemein klagte man über den Niedergang des deutschen Geistes, über die Verdrängung des Idealismus durch den Realismus in der Politik und den Materialismus im Wirtschaftsleben. […] Kulturelle Unzufriedenheit, eine Sehnsucht nach dem “starken Mann” und nationalistische Hoffnung waren die dominierenden Gefühle vieler Deutscher vor dem ersten Weltkrieg(4)&filetype=file”>(4).
Für Kulturpessimisten gibt es keinen Fortschritt, nur das Bestehende, das Elend, jede Katastrophe und jedes menschliche Elend manifestiert den Glauben an den Untergang: “Für den Kulturpessimisten zählt weniger, was geschaffen, als vielmehr was zerstört werden soll- nämlich unsere “kranke” Gesellschaft. Schlechte Nachrichten sind daher gute Nachrichten, […] Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit, Weltkriege und Umweltkatastrophen […] sind Vorzeichen der endgültigen Zerstörung der modernen Zivilisation.”(5) [/justify]

Kulturpessimismus als Ideologie des Untergangs

Kulturpessimismus ist ein immanenter Glaube an die (selbst-)Zerstörung der modernen Gesellschaften durch die von ihnen erschaffenen gesellschaftlicher Verhältnisse. Bildet er keine eigene Welterklärung, hat keine klare politische Heimat, ist er jedoch seit je her Bestandteil extrem rechter Ideologie. Hier wird der Untergang eines homogenen Volkes postuliert, gegen den mobilisiert gehöre. Der Feind steht links, die jüdische Weltverschwörung, die Kapitalismus und Kommunismus gleichermaßen beinhalte, sei fester Verbündeter der Demokraten, die lediglich Marionetten der Elitären Strippenzieher sind. Rechte Kulturpessimisten glauben an den Untergang der modernen Gesellschaften weil sie diese als Verhinderung einer „natürlichen Ordnung“ sehen. Ihr Gegensatz zur linken Kulturkritik besteht Hauptsächlich darin, in der Moderne mit ihren Zentralen Positionen wie Vernunft, Gleichwertigkeit und liberaler Freiheitsrechte einen Verstoß gegen eine Vor-Aufklärerische, eben natürliche Ordnung zu sehen. Ihre Positionen speisen sich aus einem quasi natürlichen Wesenskern, dessen Recht zur Geltung zu kommen, die Internationale Rechte sich auf die Fahnen geschrieben hat. Carl Schmidts „illiberales“ Demokratie-Verständnis ist in Ungarn bereits Realität…

[justify]Der Rechtsruck in Europa und die Angst[/justify]

[justify]Ohne den Begriff der Angst in seiner Fülle definieren zu wollen, kann Angst kann als historischer Reflex verstanden werden, der die Ungewissheit der Zukunft in ein unbestimmtes Gefühl von Ohnmacht transformiert. In einer Gegenwart, in der Fertigungsketten der Waren- und Dienstleistungsproduktion global agieren und Herrschaftsstrukturen im sogenannten Westen als flache Hierarchien erscheinen, in der die Mittelschichten über viele Freiheiten und damit Wahloptionen verfügen, ist die Ungewissheit vor dem was Morgen kommt, ein täglicher Begleiter. Rational müssten diese Menschen eigentlich nicht viel befürchten, verglichen mit Verhältnissen vor 30 Jahren ist der Allgemeine Wohlstand, und eben auch der der Mittelschicht, angestiegen. Die Politik der Rechten setzt jedoch ganz auf die Irrationalität der Gesellschaften. Diffuse Abstiegsängste und ein „ständig-zu-kurz-kommen“ der eigentlichen Mehrheit des „Volkes“ werden postuliert. Diese Irrationalität trifft auf die Tendenz zum Neoliberalismus, die in der westlichen Welt selbst in weiten Teilen die Sozialdemokratie erfasst hat und als „Alternativlos“ gepredigt wird. Auch hier wird der Standort-Nationalismus als Heilmittel gegen einen global agierenden Kapitalismus ohne Herrschaftsmasken in Stellung gebracht. Rechtsnationalisten präsentieren sich hier allerorts als Avantgarde eines von ihnen definierten Volkes im Kampf gegen die von allen Seiten als Schuldig ausgemachter Globalisierung. In Ungarn setzt Viktor Orban ganz auf die antisemitischen Reflexe seiner Bevölkerung in seiner anti-Soros Kampagne, die Internationale der extremen Rechten ist hier noch etwas Vorsichtiger. Ihre Chiffren einer „Globalistischen, Kosmopolitischen  Elite“ (O-Ton Alexander Gauland) die  versteht jedoch der sie verstehen soll. Statt einer konkreten Analyse der Verhältnisse im Kapitalismus und einer konkreten Alternative bietet die radikal Rechte eben nur das Ressentiment, weiß um die Pervertiertheit bestimmter gesellschaftlicher Milieus und setzt im Angesicht einer umfassenden, diffusen Ohnmacht bezüglich sozialer Fragen ganz auf Härte und Abschottung gegen die Momentan im Fokus stehende Gruppe auf die sie sämtliche tatsächlich existierenden Ängste Projiziert. Die permanente Darstellung von Geflüchteten als Bedrohung für die innere Sicherheit hinterlässt ihre Spuren, egal ob die tatsächliche Kriminalität auf dem niedrigsten Stand seit Jahren ist. Die Verbreitung des Ressentiments, getarnt als Angst, zielt eben auf die Irrationalität unserer Gesellschaften[/justify]

[justify]Gesellschaftlich verordnete Angst [/justify]

[justify]In Zeiten der globalen Krisen werden vermeintliche kollektive Eigenschaften als Garant für die Anteilsberechtigung des doch ausbleibenden/ungenügenden, kollektiven Wohlstandswachstums konstruiert. Denn die Mythen um Nation, Herkunft, Geschlecht und Kultur sind keineswegs bloße Vorwände oder Erfindungen der politisch Rechten oder einer herrschenden Klasse, ihre Formen wohl aber fester Bestandteil bürgerlicher Ideologie. Und gerade in Krisenzeiten der bürgerlichen Gesellschaft, die meist ökonomischer Art sind, entfalten sie ihr ganzes Ich, welches selbst meist außerökonomischer Natur entspricht. So gelten die Kategorien als vorpolitische Identitätsbegründung, jenseits der kapitalistischen Konkurrenz. Sie sollen bestimmte Geltungsansprüche entgegen krisenhaften Entwicklungen sichern, die der Kapitalismus und seine Ordnung von sich selber heraus produzieren. So geht es immer wieder um die Frage von Reichtums-Verteilung, Anspruch auf Arbeit oder bei Ausschluss vom „Arbeitsmarkt“ Anspruch auf Transferleistungen. Diese und andere Konfliktlagen bieten den Raum für die selbstevidente, unverrückbare Identität, die in dem Rahmen der jeweiligen Nation den Anspruch auf das X-beliebige generiert. Ihre identitätsstiftende  Autorität bedeutet Ein-oder Ausschluss der Gruppen, die mit den beliebigen Eigenschaften, die ihre jeweilige Identität „bedeuten“,  belegt werden. Das ausbleiben einer versprochenen allgemeinen Wohlstandssteigerung gepaart mit einer verordneten Angst vor dem sozialen Abstieg verschärft ein gesellschaftliches Klima in welchem die permanent verkündete Katastrophe seitens der radikalen Rechten immer mehr Milieus erfasst. Diese Entwicklung ist durchaus furchterregend, erklärbar aber auch nicht unumkehrbar. [/justify]

[justify]Ein Erwachen aus der Schockstarre? [/justify]

[justify]Dass es durchaus jederzeit Grund zum Hoffen auf einen Wandel zum besseren gibt, ist keine banale Parole des Durchhaltens. Leider bekommt das Gute, wenn Menschen aus echter Solidarität zueinander handeln, selten dieselbe Aufmerksamkeit wie das Nachhallen einer wiedermal gezielten Provokation von Rechts. In Zeiten von Corona schließen sich spontan Nachbarschaftshilfen zusammen und die jungen Menschen von Fridays for Future gehen auch in Zukunft für uns alle auf die Straße. Die Hysterie der radikalen Rechten ist auch mit einem gesellschaftlichen Wandel zu erklären, in dem sich viele Menschen tatsächlich nicht mehr aufgrund von, vermeintlicher, (sozialer oder regionaler) Herkunft, Geschlecht oder sexueller Vorlieben mit Vorbehalten, sondern Offenheit zueinander, begegnen. Diese Nuancen des anderen, der Möglichkeit einer Gesellschaft der Vielen sollte nicht Überinterpretiert werden. Die tägliche Traurigkeit von Gesellschaft im Kapitalismus sollte nicht vergessen werden, die extremsten Ausbeutung in weiten Teilen der Welt bleiben ein zu lösenden Problem. Der mörderische Rassismus hört nicht auf wenn wir uns gut fühlen, weil wir ja ein bisschen erreicht haben. Sexismus und sexualisierte Gewalt bleiben große Problemfelder. Geflüchtet ertrinken weiter im Mittelmeer oder vegetieren vor den Außengrenzen der EU. Aber man sollte im Auge behalten, es geht auch anders: die Angst und ihr größter Verbündeter, die radikale Rechte, sind keine Übermächtigen, Unbesiegbare Gegner. Es liegt an uns allen ihr zu begegnen. [/justify]

In dem Maß, in dem die antagonistische Gesellschaft sich zu einer ungeheuren repressiven Totalität zusammenschließt, verlagert sich sozusagen der gesellschaftliche Ort der Negation. Die Macht des Negativen erwächst außerhalb dieser repressiven Totalität aus Kräften und Bewegungen, die noch nicht von der aggressiven und repressiven Produktivität der sogenannten Gesellschaft im Überfluß erfaßt sind, […] Und dieser Chance entspricht die Kraft der Negation innerhalb der Gesellschaft im Überfluß, die gegen dieses System als Ganzes rebelliert. Die Kraft der Negation, wir wissen es, ist heute in keiner Klasse konzentriert. Sie ist heute noch eine chaotische, anarchische Opposition, politisch und moralisch, rational und instinktiv: die Weigerung, mitzumachen und mitzuspielen, der Ekel vor aller Prosperität, der Zwang zu protestieren. Es ist eine schwache, eine unorganisierte Opposition, die aber doch, glaube ich, auf Triebkräften und Zielsetzungen beruht, die mit dem bestehenden Ganzen in unversöhnlichem Widerspruch stehen.“(6)

[hr]

[justify](1) HORKHEIMER, Max, ADORNO, Theodor W., Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, 20. Auflage 2011, Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main[/justify]
[justify](2) STERN, Fritz, Kulturpessimismus als politische Gefahr, 2005, Klett-Cotta Stuttgart
Fritz, Kulturpessimismus als politische Gefahr, 2005, Klett-Cotta Stuttgart
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[justify](3) ebd.[/justify]
[justify](4) ebd.[/justify]
[justify](5) HERMAN, Arthur, Propheten des Niedergangs; Der Endzeitmythos im westlichen Denken, Deutsche Ausgabe 1998, Propyläen Verlag, Berlin[/justify]
[justify](6)MARCUSE, Herbert, Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft, 3.Auflage 1969, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Mai[/justify]

levin - 16:17 @

 

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