05/05/2020

Von traurigen, mutigen Herzen

In der Welt der Social-Media bildet sich momentan so etwas wie eine Prominente-Armee-Fan-Fraktion, kurz die „Paff“. Bereit für eine scheinbar exklusive Wahrheit über Corona und die „Beherrschung der Welt durch eine kleine, elitäre Gruppe“ zu sterben. Über Telegramm, Twitter und andere Kanäle scharen sich die Anhänger, um ihren Führern auf dem Weg der Erlösung zu folgen. Als Hauptverantwortlich zeichnen sich der Vegan-Koch Attila Hildmann, der Schmusebarde Xavier Naidoo und der Ex-Journalist Ken Jebsen. Während Jebsen und Naidoo ihren Hauptfeind, die Juden, bereits mehrfach klar definieren, ist Hildmann, der Macher der Crew, noch bei Bill Gates als Hauptschuldigen der „ganzen Misere“, aber auch hier ist es lediglich eine Frage der Zeit. Antisemitismus ist in den meisten Fällen das Bindeglied aller Verschwörungen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung dazu: “Verschwörungsideologien benennen Minderheiten als Sündenböcke für gesellschaftliche und individuelle Probleme. Damit erschaffen sie nicht nur ein einfaches Weltbild von vermeintlich guten und bösen Menschen, dahinter stecken vor allem nationalistische und antisemitische Bilder” (1). Antisemitismus ist keine reines Ressentiment, sondern eine Weltanschauung. Bei Verschwörungstheorien steht das Tor zum Antisemitismus weit offen, viele haben sich dort bereits eingerichtet, die anderen werden folgen. 

Auf den ersten Blick könnte dieses ganze Szenario ein Drehbuch für den nächsten Verschwörungsthriller sein. Ein paar wenige Gute, die eine Verschwörung ungeheuren Ausmaßes aufdecken, gegen ein schier übermächtiges Konglomerat aus Politik und Kapital. Aus idealistischer Überzeugung kämpfen die Guten, in diesem Falle Hildmann, Naidoo und Jebsen, mit aller Gewalt und unter schmerzhaften Verlusten, für die Freiheit der Menschheit. Traurige, mutige Herzensmänner halt…  Piff-Paff, aus die Maus, Verschwörer Tod, das Gute siegt. Eine Reihe unbeirrbarer Männer, natürlich Blut- und Dreckverschmiert, wird von allen friedliebenden Menschen bei einem schönen Sonnenaufgang bejubelt. Doch dies ist kein Film. Die Realität ist, dass völlig irrationale, antisemitische Verschwörungstheoretiker sich auf einen Endkampf vorbereitet und tatsächlich Menschen um sich scharen. Ob die Tausenden von Followern wirklich alle Folgen wollen ist irrelevant. Auch auf einen Superhelden wie Til Schweiger müssen wir verzichten, der findet nämlich dass der Ken Jebsen ein „echter Knaller“ ist, teilt fröhlich Verschwörungstheorien zum Corona-Virus und spielt daher eher im #TeamNaidooJebsenHildmann.

Wie Groß und Relevant die gerade entstehende „Bewegung“ tatsächlich ist und wird, ist nicht abzuschätzen. Doch es scheint, dass neben einer zunehmenden Faschisierung der Gesellschaft, sich hier eine neue Front aufbaut. Die in Teilen natürlich klare Überschneidungen in die extreme Rechte hat, aber genau so Unübersichtlich und Wirr bleibt, wie Verschwörungstheorien eben auch sind.

Wenn Hildmann, Naidoo und Konsorten jetzt „den Film schieben“, in Braveheart-Manier gegen das von ihnen ausgemachte Feindbild kämpfen zu wollen, wäre die Antipode, der klassische Sciene-Fiction-Film: In Erinnerung an vergangenes Elend, in hoffnungsvoller Utopie, das Szenario einer Menschheit entwerfen, die sich in echter Menschlichkeit und Freiheit begegnet. Eine Assoziation freier Menschen, deren einzige Angst vor einem Endkampf, die Invasion feindlicher Aliens wäre. Die, Inschallah, lediglich eine Fiktion der Unterhaltungsindustrie bleiben wird.

(1) https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2018/08/verschwoerungen-internet-1.pdf

levin - 12:23 | Kommentar hinzufügen

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