04/29/2020
Der Druck steigt - Zusammenhänge zwischen Krise und dem erstarken rechtsautoritärer Ideologie
2020, alles ist am Arsch? Den scharfsinnigen Augen wird nicht entgangen sein, wie sich das Jahr 2019 von seinen Anfängen bis zu seinem berechtigten Ende entwickelte: Innenpolitisch erreichte die AfD Höchstwerte in Umfragen, Studien zeigen weiterhin große Zustimmung in der sogenannten Mitte zu sämtlichen Schweinerein in Form sogenannter “Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit”. Neue Polizeigesetze wurden auf den Weg gebracht, die zuweilen mehr als einen faden-autoritären Beigeschmack haben. Rechte Regierung zementieren ihre Macht in Moskau, Budapest, Warschau, Wien, Rom,… Desweiteren kann man sich an eingestellte und weiter kriminalisierte Seenotrettung im Mittelmeer erinnern und für Antisemitismus gibt es in Deutschland jetzt sogar wieder Musikpreise.
Ebenso scheint der Vormarsch Europas radikaler Rechten ungebrochen. Rechten Parteien in Europa gelingt es seit einigen Jahren zusehends, sowohl auf der Straße als auch in den Parlamenten Fuß zu fassen, vielerorts hat sie bereits die Macht übernommen. Das autoritäre Spektrum reicht dabei von nationalkonservativen bis hin zu offen faschistischen Vereinigungen, die den Schulterschluss mit militanten Neonazis suchen. Gleichzeitig macht eine “Rechte Internationale” gegen die Europäische Union mobil, der Nationalstaat und seine Interessen werden in Gegensatz zur Europäischen Union gestellt. Die brutalen Konsequenzen des gesellschaftlichen Rechtsrucks: Eine zunehmend feindliches Klima gegen alle die als Feinde der “neuen, alten rechten Ordnung” gelten und immer wieder offene Gewalt. Oftmals wird der Startpunkt dieser Entwicklung mit der europäische Krisevon 2008/09 als alleinige Ursache für diese Entwicklung bezeichnet. Denn die sogenannte „Euro-Krise“ und die mit ihr verbundenen sozialen Einschnitte vielerorts, führten und führen zu einer massiven Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in vielen Ländern der EU. Wirtschaftlicher Niedergang und das Erstarken rechter, autoritärer Ideologie gehen dabei scheinbar oftmals Hand in Hand. Auf der anderen Seite jedoch verzeichnen rechte Parteien nicht trotz, sondern wegen der vergleichsweise geringen Auswirkungen der Krise Erfolge. Eine Entwicklung, die europaweit zu verzeichnen ist. Nationalistische Ideologien erleben in fast allen europäischen Ländern eine Renaissance. Dass diese keine Erfindung der politisch Rechten sind, wird tagtäglich offenbart – gerade die „Mitte“ der Gesellschaft versucht, ihre „aufgeklärten Werte“ etwa gegen eine angebliche „Islamisierung“ zu verteidigen. Im Zeichen der Krise scheinen Ressentiments gegen die Banker oder die Manager als „Strippenzieher“ und „Profiteure“ laut zu werden, die ganz im Sinne antisemitischer Stereotype wie das des „raffgierigen Juden“ artikuliert werden. Innerhalb verschiedenster rechter Denkmuster gilt die Strömung des sogenannten Rechtspopulismus in Deutschland und Europa als Stichwort gebend. Diese recht moderne Form rechter Agitation findet sich nicht mehr nur am rechten Rand der Gesellschaft ein, sondern scheint tief in ihr verankert zu sein, Beispielsweise Thilo Sarrazzin SPD-Mitglied und Stichwortgeber der neuen neuen Rechten in Deutschland. Die Grenzen von Rechtspopulismus zu extrem rechter Ideologie scheinen fließend, was vielerorts durch gesellschaftliche Verhältnisse und Prozesse veranschaulicht wird.
Fast 70 Jahre nach der militärischen Niederlage des Faschismus in Europa und dessen Höhepunkt, dem deutschen Nationalsozialismus, steuert Europa einem neuen Rechtsruck entgegen und befindet sich vielerorts bereits mittendrin.
Fast Ohnmächtig, so scheint es, nimmt die nicht-rechte Öffentlichkeit diese Entwicklung war. Wenn überhaupt kommt es zu zahmen und zaghaften Protesten wenn die Spitze eines braunen Eisberges mal wieder unübersehbar erscheint. Über rassistische Äußerungen einer AfD wird sich, zurecht, moniert, die weniger verbal Formulierte Konsequenz rassistischer Politik, namentlich das Sterben im Mittelmeer oder die Menschenunwürdigen Verhältnisse in EU-Flüchtlingslagern in Griechenland, bestimmen eher selten den Diskurs. Sie sind jedoch beides Folgen derselben Entwicklung, die Verhältnisse innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, bestimmt durch Konkurrenz und Identitäten-Konstruktion, transformieren sich, begünstigen und bilden die strukturelle Ausgangsform des Vormarsch autoritärer Ideologie. Um dieser Thematik näher zu kommen, versucht dieser Text, Zusammanhänge zwischen Bürgerlicher Gesellschaft und Identitäten-Konstruktionen darzustellen.
Die Herrschaft der bürgerlichen Freiheit
“Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert; die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht.”(Foucault 1976, S.31)Trotz der von Michel Foucault als komplex und dynamisch beschriebenen Verhältnisse der Macht ist die der politischen Herrschaft in der bürgerlichen Gesellschaft eine der wesentlichen, denn sie ist das Fundament aller gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse. Die verschleierte (MARX, 2008 S. 593) politische Herrschaft in der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft mit allgemeingültigem Rechtsystem ist eng zurückzuführen auf die Entstehung der Nationalstaatsbewegung in der Zeit des 18./19. Jahrhunderts. Eng verknüpft mit den Gedanken der Aufklärung sollte die Nation mit grundlegenden Rechten die vorherrschende feudale Stände-Gesellschaft ablösen. Das besitzende Bürgertum als politische Klasse, die Bourgeoisie, setzte zu seinem Siegeszug an.
„Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“ (Marx, Engels 1972, S.459 ff)
Als eine wesentliche historische Grundlage gilt die Französische Revolution, wo der dritte Stand, angeführt von dem kommerziell aufstrebenden Bürgertum, die Machtverhältnisse in der Gesellschaft zu ihren Gunsten veränderte. Auch die Unabhängigkeitserklärung der USA im Jahre 1776 und die damit verbundene Gründung eines Staatenverbundes, wenn auch mit sozialökonomischen Unterschieden zu den Verhältnissen Frankreichs, gelten als Ausdruck der damaligen, von Standesherrschaft sich befreienden Nationalstaatsbewegung des Bürgertums (Dippel 1996, S.17 ff).
In der feudalen Zeit waren Recht und Gesetz in der Regel einer höher-ständischen Instanz inne, meist der des Standes des Adels, der sich der “Göttlichen Zusprechung” des Standes des Klerus sicher seien konnte. So wurde gesellschaftlicher Reichtum einer unveränderlichen Stände-Hierarchie unterworfen, was ebenfalls für die Produktionsverhältnisse gilt. So waren Lehnsarbeit und Frondienst an der Tagesordnung. Wichtig für die Produktion und dem einhergehenden Ethos des jeweiligen Berufes war die kirchliche Auffassung von Arbeit. Sie war ganz im Sinne des geistlichen Gelehrten Johannes Calvin. Der Soziologe Max Weber benannte in seiner Schrift “Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus” den Zusammenhang von „Gottgewollter Zustandsbeschreibung“ und dem Aufkommen kapitalistischer Produktion. Weber sagte, dass besonders der puritanische Calvinismus mit seinem Askesegebot die Menschen zu konzentrierter Arbeit und zur Kapitalbildung angehalten habe (Weber 2013, S. 31 ff).
Doch das ideologische Aufstreben der Idee der Aufklärung und das wirtschaftliche Aufstreben einer Schicht innerhalb des dritten Standes ließen eine Macht entstehen, die die gesellschaftlichen Verhältnisse infrage stellen konnte, ohne sich direkt auf eine höhere, göttliche Instanz zu berufen: die politische Klasse des Bürgertums. Dessen Hauptanliegen war, Recht und Gesetz nicht von einer ständischen Willkür abhängen zu lassen sondern ein formelles Recht, das die Angelegenheiten der Bürger regelt(vgl. Hegel, 1986, S.171).
So ist der bürgerliche Staat keineswegs ein „Ungetüm“ oder eine „Fremde Herrschaft“, sondern die abstrakte Organisation der gesellschaftlichen Interessenverhältnisse, die individuelle Freiheit durch formelles Recht zu garantieren. Diese formelle Gleichstellung der Individuen in der Gesellschaft, ist die Grundlage des Konkurrenzkampfes von gleichberechtigten Privateigentümern um wirtschaftliche Eigenständigkeit, deren rechtliche Gleichstellung beziehungsweise die Gleichstellung der Konkurrenz um dieses Eigentum oberstes staatliches Handeln darstellt. Zur genaueren Einordnung der Begrifflichkeiten im Kapitalismus empfiehlt sich eben immernoch Marx. Die verschiedenen Bedingungen der kapitalistischen Produktion wie Wert, Tausch, Lohn und Profit, etc. in ihrem zirkularen Zusammenhang lassen dieses ungenau beschreibbare Phänomen erkenntlich werden, was sich wiederrum in selbstständig hervortretende Phänomene unterteilen lässt. Als in diesem Zusammenhang hauptsächlich gilt die Betrachtung Marx’, den Kapitalismus als Form der wiederkehrenden Krisen zu bezeichnen, die zyklisch auftreten, aber nicht vorhersehbar sind und die er selbst vor allem durch die immer wiederkehrende Überakkumulation von Kapital hervorruft, eine seiner Grundbedingungen.(Heinrich 2005, S. 122ff.) Und eben diese Akkumulation von Kapital, und ihr zwanghafter „Charakter“ sind Grundbedingungen für den Konkurrenzkampf, der im weiteren Verlauf genauer betrachtet wird (siehe Konkurrenz und Gewaltmonopol -innergesellschaftliche Grundbedingungen).
Das Interesse des Staates innerhalb einer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft ist es, diese Konkurrenz formal rechtlich zu gewährleisten. Anderseits ist der Schutz des Privateigentums durch Gesetz und Gewaltmonopol eine weitere Grundbedingung in der konkurrierenden Gesellschaft. Diese Verrechtlichung gesellschaftlicher Verhältnisse dient dem ökonomischen Zweck des Staates, nämlich Konkurrenzfähigkeit der Nationalökonomie durch Reproduktion von erwirtschaftetem Kapital hin zu mehr Kapital, der Zwang der Akkumulation. Durch sein Gewaltmonopol und die Verrechtlichung der Beziehungen der Individuen untereinander, zwingt er diese nach diesen Vorstellungen zu handeln. Die Verrechtlichung der Beziehung der Individuen untereinander, aber auch die Beziehung der Individuen zum Gebilde Staat als ordnende Instanz sind letztendlich die Bedingungen der Freiheit.
So schafft der Staat gleichberechtigte Konkurrenten, die am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben wollen, deren Möglichkeit aber durch die Ungleichheit materieller Art relativiert wird. So besteht eine der wesentlichen Freiheiten in der Gesellschaft darin, seinen geschäftlichen Interessen zwecks seiner Bedürfnis-Befriedigung durch die Vertragsfreiheit förmlich auch nachgehen zu dürfen. Dieses versucht das Individuum durch Vertragsschließung formeller oder informeller Art zu erreichen. Die formelle, sprich rechtliche, Gleichheit der Vertragspartner garantiert der Staat. Wenn jemand also ein Geschäft abwickeln will, also Geld „erwerben“ will um seine Bedürfnisse zu stillen, braucht es jemanden, der ein privates Interesse an diesem Geschäft hat. Durch die Freiheit des Privateigentums, im Wesentlichen der des Eigentums an Produktionsmitteln, der daraus resultierenden materiellen Unterschiedlichkeit und der Freiheit, sich selbstständig um seinen Lebensunterhalt kümmern (zu müssen), lassen gerade diese rechtliche Gleichbehandlung die Grundlage der Ungleichheit in der Gesellschaft werden. So tragen Lohnabhängige, die kein produktives Kapital besitzen außer der eigenen Arbeitskraft, mit dieser Arbeitskraft zur Vermehrung des Reichtums derer bei, die es sich, geschützt durch ihr staatliches Recht auf ihr Produktionseigentum, leisten können, andere für sich arbeiten zu lassen.
“Zur Verwandlung von Geld in Kapital muss der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, dass er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, dass er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen” (Marx 2008, S.184).
An diesen gesellschaftlichen Verhältnissen lässt sich erkennen, dass das Wohl der Lohnabhängigen vom Wohlergehen derer abhängig ist, in deren Besitz die Mittel sind, die nötig zur Produktion von Gütern sind, die diese Lohnabhängigen herstellen, für einen Lohn, mit dem sie sich ein Bruchteil dieser von ihnen hergestellten Güter leisten können. Stichwortgebend ist hier der Begriff des Mehrwerts, der letztendlich die Ausbeutung eines jeden Lohnabhängigen darstellt. Hierbei offenbart sich der widersprüchliche Charakter der bürgerlichen Freiheit. So schafft diese Form der bürgerlichen Freiheit Unfreiheit durch generelle rechtliche Gleichstellung der Bürger in einer materiell ungleichen Gesellschaft, deren Eigentumsverhältnisse durch das Recht zementiert werden.
Konkurrenz und Gewaltmonopol - innergesellschaftliche Grundbedingungen
„Unseren Feinden haben wir viel zu verdanken. Sie verhindern, dass wir uns auf die faule Haut legen.“5 Dieser vielzitierte Ausspruch wird dem irischen Schriftsteller Oscar Wilde zugesprochen. Wilde bekannte sich hier zu einer der unmittelbarsten Auswirkungen der herrschenden Art der Produktion. Nämlich des vermeintlich belebenden Konkurrenzkampfes von gleichberechtigten, eigenständigen Privateigentümern um wirtschaftlichen Erfolg, deren rechtliche Gleichstellung beziehungsweise die Gleichstellung der Konkurrenz um dieses Eigentum oberstes staatliches Handeln darstellt (s.o.).
Wilde stellt in seinem Hauptwerk „The Picture of Dorian Grey“ die Perversionen des Dorian Grey als extremstes Resultat der kapitalistischen Gesellschaft dar.6 Er skizzierte und kritisierte damit die moralferne Oberschicht Englands des 19. Jahrhunderts. Wenngleich die Boheme´ der obersten Klassen der Gesellschaft Anlass zur Kritik bieten, so falsch ist die Annahme, dass die kapitalistische Produktion alleine hier für Auswirkungen im sozialen Leben beziehungsweise für das moralische Zusammenleben der Akteure sorgt.7 Denn der Konkurrenzkampf, das tragende Element der Gesellschaft, macht durch die formelle Gleichheit aller Bürger vor keiner Klasse der Gesellschaft halt. Durch die Konkurrenz in jedweder Schicht ist das Individuum als eigenständiger Privateigentümer im Kampfe um die nötigen Ressourcen auf sich alleine gestellt. Doch die einzelnen ökonomischen Akteure haben im Grunde kein Interesse an einer Aufrechterhaltung der Konkurrenz, streben sie doch nach Erfolg im Konkurrenzkampf. Ihr möglicher ökonomischer Erfolg basiert auf einem Niederringen des konkurrierenden Gegners. Doch Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft, wie der „Volksmund“ meint. Sie belebt auch die innergesellschaftliche Interaktion.
So werden gesellschaftliche Verhältnisse wie „naturgegebene“ menschliche Eigenschaften hingenommen und nicht als Konsequenz der konsequenten Konkurrenz hinterfragt.8 Denn diese würde eigentlich für ein Hauen und Stechen und ein Erpressen der Individuen ihrer Interessen wegen sorgen. Doch solche Verfahrensweisen können nicht Grundlage dauerhafter kapitalistischer Produktion sein. Hier setzt die institutionalisierte Herrschaft auf Reglement um den „freien Warenaustausch“ zu garantieren. Denn dieser Warenaustausch ist die Bedingung der stetig wachsenden ökonomischen Produktionsgesellschaft (vgl. Heinrich 2005 s.78 ff) So versteht sich die Allgemeine Gesetzgebung nicht als Äquivalent zu einer universellen Idee und deren Umsetzung (auch wenn die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte eine Grundbedingung ist und auch als Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber der Feudalen gesehen werden muss), sondern sie ist Zweck in sich selbst. Sie variiert je nach politischem Einfluss auf der Grundlage der Verselbstständigung formellen Rechts als geleitende Struktur. Hier wird ein wesentlicher Widerspruch in der Ideologie der Widersprüchlichkeiten deutlich: So sollen sich Individuen im gesellschaftlichen Leben als moralisch gleichwertige und gleichberechtigte Wesen begegnen, in der ökonomischen Welt, in der die Grundlage zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse in den Bereich des ökonomischen „outsourct“ ist, überwiegend durch Arbeit für Lohn für Gütererwerb, sind sie materiell ungleiche Konkurrenten um ihren Anteil am gesellschaftlich produzierten Reichtum.(vgl. Heinrich 2005 s. 38-39)
Bei diesem Akt wird die gnadenlose rechtliche Reduzierung der Individuen auf die Rolle von konkurrierenden Privateigentümern deutlich. Für die Aufrechterhaltung dieses Prinzips, und dem Schutz der Mechanismen, die für diesen dynamischen Prozess von Nöten sind, sorgt das selbst gegebene Gewaltmonopol des Staates, was ein jedes Individuum anzuerkennen hat. Er sorgt nicht nur für das formelle Recht und dessen ständige Anpassung zur Wahrung der Konkurrenz, sondern er sorgt auch für dessen Umsetzung. Wenn nötig, mit unmittelbarem Zwang. Er zwingt Arm und Reich, für dessen Anerkennung als Besitzer von Reichtümern er durch das Freiheitsrecht für Privateigentum sorgt, zum Beispiel nicht zu stehlen und Steuern zu zahlen. Dieses Monopol lässt die Bürger sicher sein, dass das bestehende Recht, das Recht der gewährleisteten materiellen Ungleichheit, mit aller Kraft durchgesetzt wird.( ebd. s.202)
So gilt die Konkurrenz als strukturgebend für menschliches Handeln, für das konkurrierende Miteinander auch im vermeintlich Privaten. Der Staat sorgt dahingehend, dass nichts die Konkurrenz behindert, die der sich expansiv weiterentwickelnde Kapitalismus braucht, notfalls mit Gewalt. So verhindert der Staat auch die Monopolbildung in der Privatwirtschaft, schafft beziehungsweise subventioniert die Konkurrenzbildung auch hier, beim Kapital.(ebd.) Auch wenn der Trend zur Liberalisierung seit den 1970/1980er Jahren anhält, so lässt sich die als keyanistisch zu bezeichnende Ökonomieauffassung immer noch als einziges relevantes und diskutiertes bürgerliches Gegenmodell zum absoluten Liberalismus feststellen. Doch so unterschiedlich auch beide Modelle sein sollen, das eine will den nationalen Wirtschaftsstandort durch einen möglichst freien Markt ohne Einschränkungen stärken, das andere will den Staat als subventionierenden Motor der Privatwirtschaft, so gleich ist ihre Intention, nämlich die Stärkung der nationalen Ökonomie in der Konkurrenz zu anderen (ebd.) Als stichwortgebend gilt hier der Begriff der Leistung, deren Bedeutung mit der der Produktivität gleichzusetzen ist. An dieses Leistungssystem, dessen einzig messbare das einzig Zählbare darstellt, nämlich der Wert in Geld, wird früh gewöhnt. Durch ein benotetes Schulsystem, das frühzeitig den Individualismus des Kindes zu Gunsten von Leistungsbereitschaft und Konkurrenzverhalten marginalisiert, aber auch durch die gesellschaftliche Stellung des Sports, der Welt der absoluten Leistung und der absoluten Konkurrenz, halten die kapitalistischen Grundprinzipien ihren Einzug in das vermeintlich Private. Durch regressive Sanktionen werden vermeintliche mangelnde Leistungen sanktioniert, wie Arbeitslosigkeit und dem damit verbundenen Ausschluss von Arbeit zwecks Lohnerwerbs. Auch wenn diese Arbeitslosigkeit finanziert wird, bedeutet sie nie mehr als Grundsicherung und damit lediglich, nicht verhungern zu müssen. In dem Rennen im Hamsterrad der ewigen Konkurrenz scheint keine Alternative zur Verfügung zu stehen. Der (negative) Preis der ewigen Konkurrenz sind vermeintlich sinngebende Kollektive, die Ausschluss anderer oder Abschottung der eigenen Mitglieder bedeuten. Bedeutsam für diese Entwicklung ist die Vergesellschaftung des Individuums.
Kollektivierung des Individuums - die Vergesellschaftung
Die Geschichte der Kollektivierung des Individuums folgt keiner logischen Kausalität. So stand das institutionelle Herrschafts-Gebilde „Staat“ nicht immer ordnend über den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Erst durch die formelle Rechtsgleichheit aller Einwohner im 19./20. Jahrhundert wurde diese heutige Form der institutionellen Herrschaft etabliert. Vorausgegangen waren teils blutige Jahrhunderte voller Krisen und Kriege und Umgestaltungen ökonomischer Produktion14. So wandelten sich die generellen Herrschaftsverhältnisse im Laufe der Geschichte der Menschheit.
In früheren Zeiten waren die beiden hauptsächlichen gesellschaftlichen Machtverhältnisse, politische und ökonomische Macht, noch vereint. Am oberen Ende stand eine Ständische Vertretung, die die Verfügung über die gesellschaftliche Arbeitskraft besaß. So galten Lehnsarbeit und andere Aufgaben zu den Pflichten der Individuen gegenüber den Oberen der „gottgegebenen“ Stände. Diese Stände besaßen allerdings auch die politische Macht und waren, salopp gesagt, das Gesetz. Ebenfalls waren sie im Besitz der einzigen organisierten Gewalt, meist das Heer, um gesellschaftliche Streitfragen zu ihren Gunsten zu entscheiden. Mit der Formierung des kommerziell aufstrebenden Bürgertums15 als politische Klasse entstand eine Macht, die diese statischen Verhältnisse in Frage stellte, ohne sie anfangs gänzlich zu aufzulösen16.
So entstanden zunächst aristokratische Zentralstaaten, die sich langsam als Garanten für die nationale Ökonomie, sprich der Produktion zwecks Geldvermehrung durch das Bürgertum, entwickelten17. Denn der sich entwickelnde Staat, selber nicht als ökonomischer Produzent tätig, hatte ein finanzielles Interesse an einer stetig wachsenden Wirtschaft, denn er finanzierte sich durch Steuern. Denn letztendlich sorgt das Bürgertum durch seine zu bezahlenden Steuern für die finanzielle Handlungsmacht des Staates. So konnte die Geldvermittelnde Anwendung von Ressourcen und Arbeitskraft genügend Steuern einbringen, um einen umfassenden Herrschaftsapparat aufzubauen. Dieser war nötig, um einen überregionalen Agitator aufzubauen, um Ressourcen materieller und territorialer Art zu sichern.
So war die Ausbeutung kolonialer Art einer weiteren Reichtums Quelle, die einen Schutz vor konkurrierenden Interessen verlangte. Auch innerhalb bedurfte es einer einheitlichen Konkurrenzbedingung: das allgemeine Recht. Diese Verschärfung der Konkurrenz hatte dramatische Folgen. „[…] personengebundene Ausbeutungsverhältnisse in privatwirtschaftliche Lohnarbeitsverhältnisse transformiert. […] Durch Enteignung wie durch wirtschaftlichen Ruin werden sie von ihren teils persönlichen, teils gemeinschaftlichen Produktionsmitteln getrennt, und verlieren damit individuell und kollektiv gesellschaftliche Verfügungsmacht. Unter diesen Bedingungen sind sie gezwungen, gegen einen Lohn für andere zu arbeiten, und zwar zu verschärften Bedingungen. Denn der Konkurrenzzwang zu immer produktiverer Arbeit erfordert strenge Arbeitsdisziplin, die durch autoritäre Aufsicht und leistungsabhängige Entlohnung durchgesetzt werden muss.
Kapitalistischer Produktivitätsdruck und Kontrollzwang verändern auch den materiellen Arbeitsprozess selbst. Die technische Struktur von Fabriken und Maschinen dient im Kapitalismus nicht alleine einer möglichen einfachen und effizienten Arbeitsverrichtung, sondern zugleich der Kontrolle und möglichst intensiven Ausbeutung der unmittelbaren Produzenten.“18 Marx beschreibt hier die Entstehung der „Freiheit zur Lohnarbeit“, die in der permanenten Konkurrenz privater Kapitale zur „Freiheit zum Selbstzwang“ wird. Diese allumfassende Konkurrenz erzwingt letztendlich eine rasante und permanente Produktionssteigerung, die wiederrum die Grundlage zur Entstehung der modernen, westlichen Industrienationen bedeutet. Weil die Kapitalisierung letztendlich auch eine massive Verbesserung der finanziellen Situation der Subjekte des aristokratischen Staates bedeutete, unterstützten diese den entstehenden Kapitalismus. So entwickelten beide, Staat und Privatwirtschaft, ein gegenseitiges, wechselwirkendes Interesse aneinander. Der Staat ein Interesse am Wohlergehen der Wirtschaft, die letztendlich über Steuern seine Handlungsfähigkeit bestimmte, und die Privatwirtschaft brauchte den Staat als Garant und Förderer des Privateigentums und der Konkurrenz.
Mit dem Verlauf der Geschichte und dem Einhergehen von Krisen und Kriegen änderte sich die traditionelle Form der Herrschaft. Beim Übergang von aristokratischen Staaten zu bürgerlichen Demokratien änderte sich vieles, jedoch die institutionelle Herrschaftsform „Staat“ als Sicherung der kapitalistischen Akkumulation ist geblieben. So ist die Entwicklung von ökonomischer und politischer Macht ein einheitlicher Prozess, der Staat ist damit das Fundament der politischen Ökonomie. Eine bedeutende Entwicklung ist die Integration gesellschaftlicher Klassen zu einem Kollektiv von Staatsbürgern. Die Rolle der Proletarier, heute als Lohnabhängige zu bezeichnen, gilt hier als wesentlich, jedoch ist ihre Bewertung nicht einheitlich. Fest steht jedoch, dass ihre Integration, weg von einer ausgebeuteten, revolutionierenden Klasse hin zu einem Kollektiv, das sich mit seiner Ausbeutung und der diese garantierenden Nation identifiziert, ausschlaggebend war. So wuchs bei steigender Produktion die Anzahl der Güter, die ein Lohnabhängiger erwerben konnte. Gleichzeitig garantierte der Nationalstaat, dessen Staatsbürger das ausgebeutete Individuum war, gewisse Arbeitsschutzmaßnahmen sowie Sozialleistungen. Diese dienten zwar einerseits als Wahrung der „gleichberechtigten Konkurrenz“, und damit dem Interesse des Produktionsmittel besitzenden Kapitals, schafften anderseits aber auch eine Art Anerkennung der Proletarier, die sich nun um Partizipation und weitere Anerkennung bemühten, beziehungsweise ihre Kämpfe dahingehend verlagerten.
So gelangte der Proletarier als Staatsbürger in die Abhängigkeit vom Erfolg der Nation im Gerangel der Reichtums Vermehrung. Also in das Bewusstsein derer, die nichts besaßen und doch alles verlieren konnten. Nun galt das Interesse von da an der Pflege von Sozialstaatlichkeit, verbunden mit der Hoffnung auf eine ökonomische Besserstellung. Die Integration der Arbeiterklasse in ein nationales „Wir“, die Schaffung einer national produzierenden Schicksalsgemeinschaft offenbarte sich am stärksten im Ersten Weltkrieg, wo sich Proletarier aller Länder in einem entfesselten Nationalismus gegenseitig abschlachteten, weil das Gelingen der Nationen im imperialistischen Gerangel letztendlich eine Besserung ihrer eigenen ökonomischen Lage bedeutete.19
Binnenpolitisch brachte der Prozess der Vergesellschaftung der Individuen in Form von Sozialversicherungen und der Einbindung des Proletariats in politische Entscheidungsprozesse in Form von Wahlberechtigung eine Befriedung der Gesellschaft. Die soziale Frage, die Grundlage der Arbeiterbewegung, wurde von nun an „tarifpartnerschaftlich“ organisiert. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände handeln nun die Arbeitsbedingungen der einzelnen Branchen aus, was letztendlich eine Zersplitterung des gemeinsamen Interesses aller Lohnabhängigen bedeutete. Der Staat funktioniert hier als Moderator, der je nach konjunktureller Lage organisierend eingreift, um das „Gemeinwohl“ zwecks einer florierenden Nationalökonomie zu stärken. Hier werden beide Seiten, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, zu ideologischen Anteilseignern am Gelingen und Voranschreiten der nationalen Ökonomie. Friedrichs Engels bezeichnete den modernen Staat als „[…] die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußeren Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe, sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten.“20 So kann der Staat als Garant der nationalen Einheit bezeichnet werde. Der Einheit aller in ihm lebenden Individuen als Produzenten nationalen Reichtums, die Einheit der Nation.
Der bürgerliche Staat und seine Interessen
Der moderne bürgerliche Nationalstaat ist jedoch kein böswilliges Subjekt, was fremdbestimmt die Interessen seiner Bürger mit Füßen tritt. Im Gegenteil: Wie im oben angeführten Zitat Friedrich Engels, gibt die bürgerliche Gesellschaft sich die Ordnung selbst. In einer Zeit, wo politische Klassen sich zu Staatsbürgerkollektiven entwickelt haben und es keine vermeintlich sunjektiven erkennbaren Klassengegensätze gibt, gelten die Nation und ihr handelndes Gebilde „Staat“ als ordnende Instanz formell gleicher, materiell ungleicher Staatsbürger (s.o.).
Die Auffassung, der Staat sei ein Instrument einer ökonomisch herrschenden Klasse, ist das gängige Argument in vielen Debatten. Ein undurchsichtiges Konglomerat aus Politikern und „Kapitalisten“ regiere und herrsche und knechte die „schaffende“ Bevölkerung. Häufig ist von „die da oben“ oder „Etablierter Politik“ die Rede. Die Auffassung stützt sich auf eine Gesetzgebung zugunsten kapital Besitzender, zum Beispiel die Herabsetzung der „Hotelmehrwertsteuer“ 2010. Doch, so schreibt Michael Heinrich in seinem Werk Kritik der politischen Ökonomie:
„Mit der „instrumentellen“ Staatsauffassung ist ein grundsätzliches Problem verbunden: Sie unterschlägt die qualitative Differenz von vorbürgerlichen und bürgerlichen Gesellschaftsverhältnissen und betont allein die Spaltung der Gesellschaft in unterschiedliche Klassen. Worauf es aber für eine Analyse des Staates ankommt, ist die spezifische Form […]“21.
Denn wie oben (Kollektivierung des Individuums- Die Vergesellschaftung) beschrieben, besitzt die ökonomische Macht keinerlei persönliche Gewalt um politische Herrschaft zu besitzen. So kann der Lohnabhängige heute „frei“ entscheiden, wo er sich ausbeuten lässt. Denn der „Markt“ sorgt für ein Zusammenkommen von formell „freien und gleichen“ Privateigentümern. Die einen im Besitz von Produktionsmitteln, die anderen im Besitz ihrer Arbeitskraft als einzige verwertbare Kapitalquelle. Die Ungleichheit wird nicht staatlich durch Gesetze festgelegt, wie es einst in feudalen Zeiten gab, sondern durch die materielle Ungleichheit und formelle Gleichheit der Individuen produziert. Auch die einzelnen Kapitale bilden keineswegs eine Einheit, sondern sind Konkurrenten in der ständigen Verwertung von Kapitalquellen. So haben durch die formelle Gleichheit Lohnabhängige und kapital Besitzende in einem bürgerlichen Nationalstaat dieselben Rechte und Pflichten und sind derselben Konkurrenz untereinander verbunden. Und um die Sicherstellung der formellen Gleichheit der Konkurrenz von Privateigentümern kümmert sich das Gebilde Staat.
Doch der Staat ist nicht nur ein Rechtsstaat, der formelle Rahmen setzt. „Er gewährleistet auch die allgemeinen materiellen Bedingungen der Kapitalakkumulation, sofern diese Bedingungen von den Einzelkapitalen nicht in kapitalistischer Weise hergestellt werden können, da sie keine ausreichenden Profite abwerfen. Zu diesen Bedingungen […] gehört unter anderem die Bereitstellung einer entsprechenden Infrastruktur, […], von Forschungs- und Ausbildungskapazitäten sowie eines wertstabilen Geldes durch die Zentralbank.“22
Man kann die hier beschriebene Rolle des Staates als „ideellen Gesamtkapitalisten“23 bezeichnen. So entschärft sich hier die These vom Staat als Instrument der herrschenden Klasse und einem Konglomerat. Denn der Staat ordnet die Angelegenheiten der nationalen Ökonomie als Ganzes, wenn nötig auch gegen die Interessen Einzelner oder gar aller Kapitale. Er hat stets das „Wohlergehen“ Nation im Sinne und verfolgt so seine eigenen Ziele. Denn die staatliche Ordnung soll für die expansive Kraft der nationalen Ökonomie sorgen. Die Verwertung der nationalen Arbeitskraft muss nämlich auch außerhalb von nationalen Grenzen funktionieren.
Der Staat muss seine Ökonomie, dessen Fundament er durch nationale Reglementierung legt, möglichst effektiv verwerten. So sorgt er für die Stellung der Nationalökonomie auf dem Weltmarkt, der „überhaupt die Basis und die Lebensatmosphäre der kapitalistischen Produktionsweise bildet“24 Denn dieser Weltmarkt sorgt für das ständige Wachsen der Produktion durch weitere Absatzmärkte und/oder Rohstofflieferanten zwecks Reproduktion zu weiterem verwertbaren Kapital. Nun stehen sich auf der internationalen Bühne diverse Staaten unterschiedlicher ökonomischer und militärischer Stärke gegenüber. In diesem vielzitierten „Standortwettbewerb“ gilt es, durch Politik den nationalen Wirtschaftsstandort zu sichern und auszubauen. Dass der Staat, und seine ausführenden Subjekte hier nicht einheitlich handeln tangiert diese Gesetzmäßigkeit der „Standortregulierung“ nicht. Sie ist seither geprägt von unterschiedlichen Ansichten, die aber alle auf eine Stärkung der nationalen Ökonomie zielen. Auch die Lohnabhängigen-Vertretung der Gewerkschaften haben das Wohl der nationalen Belegschaften im Auge und wissen ihre Forderungen nicht in Konkurrenz zur Expansion der nationalen Ökonomie zu setzten. So gelten Forderungen wie ein 8,50 Euro Mindestlohn als Maximal-Forderung25; Analysen zu den Bestimmungen der Ausbeutung derer, deren Interessen sie vertreten, findet man nicht. Denn auch sie, die Gewerkschaften, ordnen sich der „Standortsicherung“ unter, die letztendlich die oben erwähnte Vergesellschaftung und Nationalisierung der Interessen der Lohnabhängigen bedeutet.
Die Konkurrenz der Nationalökonomien
Neben der Konkurrenz auf nationaler Ebene, der Konkurrenz der Individuen als Privateigentümer und der Konkurrenz der Kapitale konkurrieren die verschiedenen Industrienationen zwecks Vermehrung des nationalen Reichtums, die Konkurrenz der Nationalökonomien. Galt die Imperialismus-Theorie Lenins von 1902 vielen als Erklärungsmuster in der Kapitalismuskritik, so weist sie doch diverse Schwächen auf, gerade im Bezug auf der Erklärung des vermeintlichen Übergangs des „Konkurrenzkapitalismus“ zum „Monopolkapitalismus“.
Selbst wenn man von dem moralischen äußerst fragwürdigen Kategorisierungen sozialer Gruppen als vermeintlich „Schuldige“ der falschen Ordnung löst, gilt die Begrifflichkeit „Imperialismus“ im Sinne Lenins in der heutigen Zeit als unbrauchbar. So verabschiedet Lenin sich von den strukturell gebenden Verhältnissen, die den Kapitalismus bedeuten, und seinen unpersönlichen Zwängen, sondern führt sie auf den „Willen der Monopolherren“ zurück. Somit wäre der Staat eben doch lediglich ein reduziertes Instrument kapitalistischer Herrschaft und nicht der politisch-ordnende Überbau. Doch ohne die Diskussion über das Verhältnis der Nationalökonomie in der Konkurrenz zu anderen Nationalökonomien wird das Machtverhältnis „bürgerlicher Staat“ nur unvollständig wiedergegeben.
So gibt es sehr wohl expansive Bestrebungen der Nationalstaaten, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen. Und auch der in Deutschland viel gepriesene „Standortwettbewerb“ ist Ergebnis der staatlichen Konkurrenz. So verläuft auch die Konkurrenz der Nationen immer Dynamisch, in einem sich stetig weiterentwickelnden, expandierenden Kapitalismus. In der „globalisierten Welt“ weitet sich dieser Konkurrenzkampf immer weiter aus, immer mehr Nationen versuchen, ihre Nationalökonomie im weltweiten Gerangel um Ressourcen und Absatzmärkten zu stärken. Doch ist diese Globalisierung keine Erfindung der zweiten Moderne des 20. Jahrhunderts. Die rasante Entwicklung des Kapitalismus in der westlichen Welt des 16./17. Jahrhunderts, war nur möglich, durch den ewigen technischen Fortschritt. Heinrich zitiert Marx Beschreibung dieser Entwicklung:
„Die Entdeckung der Gold-und Silberländer in Amerika , die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. […] Der Außerhalb Europa direkt durch Plünderung, Versklavung und Raubmord erbeutete Schatz Floss ins Mutterland zurück und verwandelte sich hier in Kapital.“26
So sind die Staaten keineswegs handlungsunfähig, wie es in modernen Märchen von Protagonisten der politischen Bühne propagiert wird, sie gestalten die Globalisierung: Durch Freihandelsabkommen, Bündnisse, gemeinsame Währungspolitik und viele andere, staatliche gelenkte Mechanismen. Doch Zitate wie „Entweder wir modernisieren – und zwar als soziale Marktwirtschaft – oder wir werden modernisiert – und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes, die das Soziale beiseite drängen“27 des damaligen Bundeskanzlers Schröder sollen die scheinbare Machtlosigkeit der administrativen Vertretung der bürgerlichen Nation gegenüber eines anonymen Marktes demonstrieren. Doch gerade durch diese Strategie, populistisch unpopulärere Maßnahmen zu begründen, wie in diesem Beispiel die „Agenda 2010“, soll die existierende „nationale Produktionseinheit“ zusammen geschweißt werden, zwecks Erfolg in der nationalen Konkurrenz. Die Lohnabhängigen stimmen einer weiteren Prekarisierung ihrer persönlichen ökonomischen Lage zu, und sollen diese gar „mit Stolz vertreten.“28
Dies ist Teil der oben beschriebenen Vergesellschaftung, zwecks Stärkung der Konkurrenz der Nationalökonomie. Und so werden eben in dieser Nationalökonomie die gesellschaftlichen Kräfte gebündelt, die untereinander ebenfalls in Konkurrenz stehen. Ein gravierender Widerspruch, und doch eine logische Konsequenz des bürgerlichen Kapitalismus. Es zeigt sich eben hier sein unveränderlicher Kern, an dessen Auflösung auf nationaler Ebene, neben gravierender Menschenfeindlichkeit, alle realen Versuche gescheitert sind. So konkurrieren Menschen und Menschen, Kapitale und Kapitale, um in Endeffekt wieder als „nationale Produktionseinheit“ zusammengeschweißt der zwanghaften Akkumulation zu frönen. An den Konkurrenzkampf auf internationaler Ebene wird schnell gewöhnt: Frenetisch werden internationale Sportwettkämpfe als Kräftemessen der Nationen gedeutet, PISA-Vergleiche geführt und Umfragen zur Beliebtheit der eigenen Nation im sogenannten Ausland veröffentlicht. Die wie auch immer zu begreifende Globalisierung löst diese Verhältnisse der Nationen nicht, sie bedeutet lediglich die „Ausweitung der Kampfzone“29
Nation-Race-Gender-Culture; Ideologien kollektiver Identität
„Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt. Sie wollte die Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stürzen. […] Leichtgläubigkeit jedoch, Widerwille gegen den Zweifel, Unbesonnenheit im Antworten, Prahlerei mit Bildung, Scheu zu widersprechen, Interessiertheit, Lässigkeit in eigener Forschung, Wortfetischismus, Stehenbleiben bei bloßen Teilerkenntnissen: dies und Ähnliches hat die glückliche Ehe des menschlichen Verstandes mit der Natur der Dinge verhindert und ihn stattdessen an eitle Begriffe und planlose Experimente verkuppelt. […]“30
Adorno und Horkheimer zitieren hier den Philosophen Bacon, der das Dilemma der Aufklärung beschreibt, die selber zu einem Mythos wird. Denn wenn die Kategorien Nation, „Race“, Geschlecht, Kultur eines gemeinsam haben ist, dass ihre individuellen „Eigenschaftszuschreibungen“ allesamt in den Bereich der Mythen einzuordnen sind. Diese Mythen um Nation, Race, Geschlecht und Kultur sind keineswegs bloße Vorwände oder Erfindungen der politisch Rechten oder einer herrschenden Klasse, sehr wohl aber fester Bestandteil bürgerlicher Ideologie. Und gerade in Krisenzeiten der bürgerlichen Gesellschaft, die meist ökonomischer Art sind, entfalten sie ihr ganzes Ich, welches selbst meist außerökonomischer Natur entspricht.
So gelten die Kategorien als vorpolitische Identitätsbegründung, jenseits der kapitalistischen Konkurrenz. Sie sollen bestimmte Geltungsansprüche entgegen krisenhaften Entwicklungen sichern, die der Kapitalismus und seine Ordnung von sich selber heraus produzieren. So geht es immer wieder um die Frage von Reichtums-Verteilung, Anspruch auf Arbeit oder bei Ausschluss vom „Arbeitsmarkt“ Anspruch auf Transferleistungen. Diese und andere Konfliktlagen bieten den Raum für die selbstevidente, unverrückbare Identität, die in dem Rahmen der jeweiligen Nation den Anspruch auf das X-beliebige generiert. Ihre identitätsstiftende Autorität bedeutet Ein-oder Ausschluss der Gruppen, die mit den beliebigen Eigenschaften, die ihre jeweilige Identität „bedeuten“, belegt werden.
Dabei verhalten sich die Identitäts-Konstrukte äußerst flexibel: So wurde beispielsweise der biologistische Rassismus und dessen Rassentheorien mit wissenschaftlicher Widerlegung von einem Kulturalismus abgelöst, der die vermeintlichen Eigenschaften durch „naturelle Eigenarten“ in den Besonderheiten der entsprechenden Kultur erklärt. Hier werden ebenso religiöse Identitätsmuster herangezogen, die hier in den Rahmen der „Kultur“ einbezogen werden. Das diese Identitätsmuster keine statischen sondern dynamische „Gebilde“ darstellen, ohne festen Ort der Bedeutung, sondern sich meist in Diskursen entfalten, versucht eben der britische Soziologe Stuart Hall in seinen „Culture Studies“ darzulegen. Er ordnete den Rassismus in einem „Kampf um Bedeutung“ oder im „Kampf im Diskurs“31 ein, welcher sich in der hiesigen Informationsgesellschaft, durch den Einfluss von Medien und Kulturindustrie, sich dynamisch entfalten kann. Ohne die Theorien Halls´ in der Tiefe zu analysieren, kann man das tragende Element, das er immer wieder beschreibt hervorheben. Nämlich die Konstruktion von ideologischen Begrifflichkeiten und ihrer Festlegung und vermeintlichen Determination durch Sprache. Und hier lässt sich erkennen, dass die entstehenden Ressentiments durch die Konstrukte keineswegs Herrschaft-produzierte sind. Sie haben eine gänzlich eigene Dynamik.
Denn diese Ressentiments bedeuten in der Konkurrenzgesellschaft des Kapitalismus den „naturgewollten“ Ausschluss „der Anderen“ und überspielt die entstandenen Konfliktlagen und die reale gesellschaftliche Ohnmacht. Die geschieht zugunsten einer vermeintlich gewinnbringenden-oder zumindest versprechenden Option: die Dazugehörigkeit zur „richtigen“ kollektiven Identität. Die „Wir“ -gegen -„Die“ Konstruktion zeichnet sich dadurch aus, dass „die den jeweiligen Gruppen zugesprochenen Charakteristika in zwei binär entgegengesetzte Gruppen [zugeordnet wird]. Die ausgeschlossene Gruppe verkörpert das Gegenteil der Tugenden, die die Identitätsgemeinschaft auszeichnet.“32
Doch nicht nur die Flexibilität der kollektiven Identität zeigt ihre Verwundbarkeit. Dem durch Konkurrenzkampf und Ausbeutung ent-individualisiertem Individuum bleibt in gesellschaftlichen Konfliktlagen vermeintlich nur die Verteidigung seiner „persönlichen Identität“. In kollektiven Ideologien kann zumindest oberflächlich eine Begründung für die eigenen Zumutungen in der kapitalistischen Konkurrenz gesucht werden. Versprechen religiöse Ideologien eine Erlösung für die Strapazen und Entbehrungen, die der Kapitalismus bereit hält, so versprechen ethische Überzeugungen sich nicht nur trotz dieser Entbehrungen, sondern gerade wegen dieser, als „moralischer Sieger“ zu fühlen, trotz Existenzangst des Individuums.33 Im Mittelpunkt steht hier seit Jahrhunderten der Wert, den die Arbeit mit sich bringt. War im Mittelalter bis zur Aufklärung der Beruf, „eine Berufung Gottes“, wo wandelte sich das Bild des Berufes mit der Zeit.34
Durch die Proletarisierung des Handwerks und dem Aufkommen der Arbeiterbewegung galt Arbeit selbst als „identitätsstiftend“. Sie galt und gilt als Grundbedingung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Und obwohl sie der Inbegriff der Ausbeutung des Lohnabhängigen darstellt, ist sie ein enorm wichtiger Teil der identitätsstiftenden, bürgerlichen Ideologie. So beschreibt der Politikwissenschaftler Stephan Grigat in seinem Artikel Arbeit nieder, erschienen in der Ausgabe der Zeitschrift KONKRET, die Ideologisierung von Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft: „Das […] Schaffen sei gut, und der eigentliche Skandal des Kapitalismus bestünde darin, nicht jedem Menschen einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.“35
Am krassesten zeigte sich die Ideologisierung von Arbeit im Nationalsozialismus in Deutschland, wo die „schaffende Volksgemeinschaft“ dem „raffenden Kapital“ gegenübergestellt wurde . Doch auch in der postnazistischen36 Zeit versucht der Staat den gesellschaftlichen Gegensatz von Kapital und Arbeit zu versöhnen, um seine Wettbewerbsfähigkeit in der Konkurrenz mit den anderen Nationen nicht zu verlieren. So suchen die gewählten Vertreter der Staatsgewalt immer wieder Anschluss an vorhandene gesellschaftliche Ressentiments, je nach Bedarf.
Wurden in Deutschland in der Nachkriegszeit „Gastarbeiter“ vor allem aus der Türkei angeworben, wurde später versucht weiteren Zuzug zu begrenzen beziehungsweise zu verhindern. Während die Rot-Grüne Regierung die „volkswirtschaftlich“ benötigten IT-Facharbeiter auch aus Indien abwerben wollte, führte der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen mit dem Slogan „Kinder statt Inder“ Wahlkampf.37 Je nach konjunkturellem Bedarf gelten eben diese „Ausländer“ als nützlich fürs Kapital oder als unnütze Konkurrenz für die Lohnabhängigen. Wenn die Stellung der Frau vormals in den Bereich des Privaten „abgeschoben“ wurde, ermöglicht die Nachfrage nach qualifizierten Lohnabhängigen, dass sie in den Verwertungswettbewerb der kapitalistischen Konkurrenz eintreten können. Zwar gibt es auch weiterhin strukturelle Diskriminierung, wie bei Lohn oder vermeintlicher Eignung für die klassischen „Männerberufe“, doch wird versucht, diese zu „gleichberechtigten Konkurrenten“ zu machen.
Auch vermeintlich „vorökonomisch“ erscheinende Ressentiments wie Kulturalismus sind fester Bestandteil der mobilen, innergesellschaftlichen Frontverläufe. So dienen Diskurse über „Überfremdung“ einerseits der Kollektivierung der nationalen Identität, „wenn es ein „Die“ gibt muss es auch ein „Wir“ geben“, anderseits als Grundlage für klassische, ökonomische Ressentiments „der Arbeitsplatz wegnehmenden und gleichzeitig Transferleistung beziehenden“ „Anderen“. Und diese Ressentiments vereinen sich als Deutungsmuster, die die oben beschriebenen Auswüchse der kapitalistischen Ordnung, unter dem Nationalismus der jeweiligen Nation. Denn die objektive Abhängigkeit des Individuums vom Schicksal „seiner“ Nation in der Weltmarktkonkurrenz vermittelt sich als selbstverständlich. Und dies zu Recht! Als Lohnabhängiger treffen negative Auswirkungen der weltkonjunkturellen Lage zuallererst ihn.
Und so ist die Abhängigkeit des Individuums vom Wohlergehen „seiner“ Nationalökonomie keineswegs nur Schein. Sie ist traurige und oftmals brutale Konsequenz einer Ordnung, die sich die bürgerliche Gesellschaft selber gibt. Die kollektive Identität wirkt selbstständig und selbstverständlich. So sind sämtliche Wahrnehmungen mit nationaler Färbung unterlegt, ob es die Papst-Wahl eines „Deutschen“ ist, die Anzahl der „deutschen Toten“ bei einem Unglück oder ein ARD-Brennpunkt zur Knieverletzung des Kapitäns der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2012.38
Doch dieser Nationalismus ist kein Mittel zur politischen Selbstermächtigung wie zur Zeit der Nationalstaat-Bewegung der bürgerlichen Klasse im 18./19. Jahrhundert. Er ist die Antwort auf eine überall greifende Ohnmacht angesichts schier übermächtiger und unzähliger Konkurrenz auf allen Ebenen. Daher gilt er als einzige Konstante, gerade innerhalb gesellschaftlicher Konfliktlagen, und bietet in der Wahrnehmung eine schier einfache Problemlösung- die (Wiederherstellung) der Souveränität der Nation. So steuern die Individuen ihrer vermeintlich privaten Vereinzelung durch die Konkurrenz entgegen, als Teil eines handlungsfähigen Kollektivs. Nationalismus bedeutet daher immer ideologische Affirmation von Kapitalproduktivität und Staatsloyalität. Und es scheint egal, welcher Definition nach man Angehöriger des Staates ist. Ob durch einst biologistische Eigenschaften, kulturelle Bindung oder Nacheiferung gemeinsamer Wertvorstellungen, das Ergebnis, die Zugehörigkeit, als Teil der bürgerlichen Nation, bleibt dasselbe.
So sollen diese kollektive lediglich die Gewährleistungsgrundlage bilden, mitentscheidender Teil des Ganzen zu sein. Das Individuum will den Staat als solchen ansehen, der ihn vor den Auswirkungen des Kapitalismus beschützt. Er soll die Gleichheit garantieren, die er verspricht, die aber in ihrer Konsequenz die formelle Gleichheit ist, die die Ungleichheit in der Gesellschaft garantiert. Als Zugehörigkeit gilt eine „produktive Tätigkeit“, in Form von Arbeit des Individuums. Einkommen, was nicht aus mühevoll erarbeiteter Quelle entstand, wird als suspekt und Gefährdung der Ordnung angesehen. Und so dualisieren sich hier viele Anhänger des Staates in den einen Teil, der den Staat in die Pflicht nimmt, diese „Ungerechtigkeit“ zu behandeln, und jene, die ihre Pflicht darin sehen, diese „Ungerechtigkeit“ selber zu „beheben“. Der Nationalismus ist daher ein Konstrukt, was sich immer mit der strukturellen Bedrohung der kapitalistischen Konkurrenz gebärt. Es entsteht als Gefüge der Zusammengehörigkeit der Individuen in ihrer Konkurrenz gegen einen vermeintlich übermächtigen, personalisierten Konkurrenten. Dieser kann einer willkürlichen Kategorie zugeordnet sein, denn das „Wir“ entscheidet wer „Die“ sind
levin - 18:38 @